Kreidezeichnungen  -  Emotionen  -  wilde Striche. 1983 - 1988

 

Mit viel Hingabe, Konzentration und Disziplin, auch mit Geduld und Langmut hat Willi Kemper seine realistischen Gemälde und Zeichnungen entstehen lassen. 1983 begann er, direkter, spontaner und suchender zu arbeiten. Sein gesamter Arbeitsprozess wurde körperlicher und emotionaler. "Mein ganzer Körper malt" ist ein Ausspruch aus dieser Zeit. Kein Bild war geplant, alle entstanden aus der Emotion, aus dem Kampf mit dem weißen Blatt. Er arbeitete im Stehen, die weiße Fläche war sein Gegenüber. Kemper erlebte diese Art des Ausdrucks wie eine Rückkehr zu früheren Ausdrucksweisen. Er fühlte sich auf vertrautem Terrain. Obwohl seine realistischen Bilder und die neuen, wilden Zeichnungen zuerst und oberflächlich betrachtet, ganz verschieden wirken, steckt doch in beiden Ausdrucksformen die formale und kompositorische Kraft Kempers.

 

 

Der gute Hirte, 1986, 70/100 cm, Kreide. Die Zeichnung war 1986 in Yokohama Teil der Ausstellung: "Art - a Dialog on Peace", Privatsammlung, Bielefeld
Der gute Hirte, 1986, 70/100 cm, Kreide. Die Zeichnung war 1986 in Yokohama Teil der Ausstellung: "Art - a Dialog on Peace", Privatsammlung, Bielefeld

Mit spontanen, leichten und stärkeren Kreidespuren schreibt Kemper auf das Blatt. Das entstehende Liniengespinst wird dichter. Die stumpfe Kreide trommelt auf die Zeichenplatte. Alles lebt und vibriert. Die Kreide startet und landet, macht Kurven, harte Kehren, auch Zacken und Wirbel. Aus dem abstrakten und unbestimmten Grundmuster entstehen festere Formen, Figuren, Wieder-erkennbares. Der Zeichenprozess ist atemberaubend, hochkonzentriert, er schließt immer das Scheitern mit ein. Es gibt keine Zeit des Innehaltens. Kemper will den anschwellenden Fluss des Ausdrucks, zusammen mit der Bewegung des ganzen Körpers, in einem durch zum Ziel führen. Erst danach ist Zeit zum Schauen. Kemper schrieb 1986 in einem Text zu den Kreidezeichnungen: "Ich brauche beim Zeichnen Bewegung, auch körperliche. Ich brauche Emotionen. Ich brauche Freude, Trauer, Übermut. Ich brauche schwarze Kreide, ich brauche weißes Papier."

 

Kranker Mann, 1986, 100/70 cm, Kreide auf Zeichenpapier
Kranker Mann, 1986, 100/70 cm, Kreide auf Zeichenpapier

 

Die Zeichnung "Kranker Mann" entstand während eines Films, den der WDR in Kempers Atelier drehte. Die Kamera nahm den gesamten Arbeitsprozess vom weißen Blatt bis zur fertigen Zeichnung auf. Der Film dokumentiert die starke Körperarbeit Kempers beim Zeichnen. Auch hier war das Ergebnis Teil der Aktion. Beim Beginn gab es keine Vorstellung von dem, was kam.

 

 

Im Mai mit Gold, 1986, 70/100 cm, Kreide auf Zeichenpapier
Im Mai mit Gold, 1986, 70/100 cm, Kreide auf Zeichenpapier
Tropennächte, Kreide auf Zeichenpapier, 1984, 61/86 cm. Museum Ostwall im Dortmunder U
Tropennächte, Kreide auf Zeichenpapier, 1984, 61/86 cm. Museum Ostwall im Dortmunder U

Kreidekampf, Schwarze Kreide auf Zeichenpapier, 1985, dreiteilig, gesamt 86/183 cm

Museum Ostwall im Dortmunder U

Amerika gegen Afrika, 1986, 70/100 cm, Kreide und Collage auf Zeichenpapier
Amerika gegen Afrika, 1986, 70/100 cm, Kreide und Collage auf Zeichenpapier

Die äußerst spontane Arbeit mit Kreiden läßt auch Werke entstehen, die nicht das Gefallen des Künstlers finden. Aus solchen Blättern sind neue Arbeiten entstanden. Kemper schneidet Bildkomplexe aus und bringt sie in neuer Konstellation wieder zusammen. Das oben stehende Blatt ist so eine Collage und ein gutes Beispiel für dieses Verfahren..

 

 

 

Die Serie: Schwarze Kreide. Eine Auswahl. 1986.

 

Mann, stehend. 1986, Schwarze Kreide, 70/100 cm
Mann, stehend. 1986, Schwarze Kreide, 70/100 cm

Die Kreidezeichnungen:

Kempers Materialien: Selbstgemachte Pastellkreiden aus guten Pigmenten, angeteigt mit sehr dünnem Pflanzenleim, eingefaßt mit durchsichtigem Butterbrotpapier. Das Zeichenapier: Stabiles, leicht poröses Zeichenpapier, mindestens 240 gr. pro qm. Und zum Schluß die Fixierung mit der Spritzpistole und selbst angemischtem Fixativ. Das Rezept bleibt ein Geheimnis. Die lockere Pastellkreide muss gebändigt werden. Nicht ohne Atemschutzmaske.

Zur Ausstellung der Zeichnungen 1988 im Foyer des Stadttheaters Dortmund erschien der Katalog "SCHWARZE KREIDE".

Das Schwarz

Schwarz ist nicht Schwarz. Die schwarzen Pigmente sind von unterschiedlichster Qualität. Nur wenige ergeben eine tiefe und klare Dunkelheit. Ein gutes Schwarz ergibt sicher das ELFENBEINSCHWARZ, ein Pigment aus verkohltem Elfenbein. Dagegen ist das EISENOXYD-SCHWARZ eher bräunlich und unklar. Kemper traf in der Toscana durch Zufall auf einen vom Blitz verkohlten Olivenbaum. Die ungewöhnlich dunklen Verkohlungen ergaben ein wunderbares Schwarzpigment für seine Kreiden.

Auch die Bindemittel haben einen Einfluss auf die Erscheinung des Schwarz als Malfarbe. Am dunkelsten wirken schwarze Farben, deren fast poröse Oberflächen das Licht aufsaugen. Mitte der achtziger Jahre malte Kemper mit schwarzem Glanzlack auf eine matt und schwarz grundierte Leinwand. Die Bildspuren waren nur aus bestimmten Blickwinkeln zu rezipieren. Solche Bilder sind fotografisch überhaupt nicht zu erfassen. Ein kleiner Triumpf der Malerei.

 

 

 

1985 im Atelier in der Stahlwerkstraße in Dortmund