Objekte, Objektskizzen, Ideen für plastische Inzsenierungen, seit 1987
Kempers Zeichnungen und Malerein seit 1974 zeigen unendlich viele Dinge, Räume, Szenerien, Gebilde und Ereignisse. Und alles, was bildhaft sichtbar wird, ist Illusion. Das Dreidimensionale wird durch den Künstler ins Zweidimensionale und dadurch in eine Illusion und eine Täuschung verwandelt. Alles bleibt Erscheinung. Der Stuhl im Bild ist, realistisch und nüchtern betrachtet, eine gut auf der Leinwand verteilte Mischung aus Pigmenten und Bindemitteln. Sonst nichts.
Seit 1987 beginnt Kemper, seine Kunstwerke aus realen und greifbaren Materialien herzustellen. Alles, was zu sehen und zu erleben ist, ist wirklich da. Seltsamerweise, und das ist ihm auch durchaus bewusst, sind die Planungen, die Skizzen, alle Vorbereitungen für seine Objekte wieder bildhaft. Erst der Werkprozess macht die Dinge real. Kemper arbeitet mit der Balance, mit Leichtigkeit und Schwere, erzeugt Grenzsituationen, wagt sich bis zum Äußersten. Für ihn sind die Objekte eine Herausforderung, als Erscheinung sind sie ganz real und gegenwärtig, von der Form und Funktion her meist ungewöhnlich, riskant oder provozierend. Kempers bevorzugte Materialien sind Fichtenholz, Haselnussgerten, Lehm, Asche, Pappe, frische Kuhfladen, Glas, Draht, Ziegelsteine, Dinge des Alltags, Elektrizität und Magnetismus und vieles mehr. Die meisten Objekte bleiben Objekte der Betrachtung. Seine fragile Schaukel ist nur eine Idee, ein Hauch. Sie hat alle Atribute einer realen Schaukel, aber nicht ihre Stabilität. Sie bewegt sich mit dem Windhauch, der durch die Flure der Ausstellungsräume zieht.
Kann man das ganz langsame Tropfen des Wasser aus einem alten Topf und das Abbrennen einer Kerze so austarieren, damit der Balken der Waage immer im Gleichgewicht bleibt?
"Gefangen im Bild". Objekt von 1992
Gefangen im Bild. Objekt aus vier beweglichen Teilen. Kiefernholz, Mattlack. 1992
Bauhaus-Beichtstuhl, 1989, Holz und schwarzer Mattlack
1967 bat Kemper in Karlsruhe Arbeiter vom Straßenbau um einen halben Eimer Teer. Sie gaben ihm den Teer für eine Schachtel Zigaretten. Er kochte den Teer in der Akademie nochmal auf, damit er sehr flüssig wurde. Mit dem Teer übergoß er ein Regal, in dem Äpfel lagerten. Er achtete auf die vollkommene Geschlossenheit der Teerdecke.
Das Objekt sah gut aus. Genau so wollte Kemper es haben. Alle Betrachter hielten die Äpfel für mo- delliert. Schwarze, halbglänzende Äpfel in einem schwarzen Regal, schön und ganz distanziert leblos. Aus den Äpfeln waren verfremdete Abbilder von Äpfeln geworden. Zwei Jahre später, die Äpfel sahen immer noch wie modelliert aus, schnitt Kemper mit einem scharfen Messer in einen Apfel. Er war noch so frisch wie an dem Tag, als er ihn mit Teer übergoss. Das Objekt gibt es nicht mehr und es existiert auch keine Fotografie davon.
Unter der Decke des Ausstellungsraumes hängt ein "Tropf" aus dem Krankenhaus, Inhalt reines Wasser. Kemper fixiert den Abstand der einzelnen Tropfen auf 20 Sekunden. Am Boden, vier Meter tiefer, senkrecht unter der Tropfstelle, eine einzelne, simple Kochplatte, eingeschaltet auf Stufe 1,5. Das reicht, sonst wird sie zu heiß. Das Geräusch, die Verwandlung, die Stille, Weltgeschehen im Detail. Nervöse und unruhige Menschen wünschen sich immer wieder, der "Tropf" solle schneller tropfen. Aber: Wohltuend ist die Erwartung.
"Der Turm". Ein Objekt von 1987
In Ausstellungen muss Kemper in vielen Fällen die Besucher vor seinen Objekten schützen. So vor seinem Turm: Auf den schlanken, äußerst fragilen, aber statisch gut ausbalancierten Gestell aus dünnen Fichtenholzleisten stapelt Kemper in über drei Metern Höhe einen Block von 24 Ziegelsteinen. Das sind 120 kg. Das tragende Gerüst wiegt noch nicht einmal 3 kg. Durch diese Konstellation entsteht eine große Spannung. Jede Erschütterung kann das Objekt zum Einsturz bringen. Für Kemper ist der Aufbau seiner Objekte immer ein Abenteuer. Erst wenn sie wirklich stehen, kommt Friede und Ruhe in die Gebilde und Konstruktionen. Das Stapeln der Ziegelsteine in großer Höhe ist selbst eine Kunstaktion und verlangt äußerste Konzentration.
Eine Aktion zum Nachmachen. Dortmund 1974.
Die Geschichte der Objekte und Aktionen ist immer mit Geschichten verbunden. 1974 im Sommer stellte Kemper seine Schuhe nebeneinander gegen die Hauptlaufrichtung auf den Westenhellweg in Dortmund. Er selbst saß mit Freunden am Rand des Weges in einem Café. Der Strom der Menschen ließ sofort um die Schuhe eine freie, spitzoval-förmige Bodenfläche entstehen. Die Menschenmasse reagierte genau so wie Wasser oder Luft, lehrbuchhaft physikalisch. Die Strömungslinien waren klar zu erkennen. Das ging über eine Stunde kontinuierlich fort. Die Schuhe bildeten einen Tabubereich, nahmen für lange Zeit die herausragende Stellung der Unberührbarkeit an. Nach einer Stunde und 10 Minuten kam eine junge Frau, packte die Schuhe und rannte damit fort. Die Menschen blieben stehen und waren ratlos. Es entstand ein kurzer Augenblick der Verwirrung. Kemper rannte hinter der Frau her, erreichte sie nach hundert Metern. Sie war schön und intelligent und voller Tatendrang.
"Erdenschaukel", ein Objekt von 1994, Fichtenholz, Glas, Humuserde, Höhe 180 cm
Objektideen, Skizzenblätter, Bleistift auf Schreibpapier, seit 1987, A 4
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Kann man auf einen aufrecht stehenden Ziegelstein über 60 gleichgroße und schwere Ziegelsteine stapeln? Geht das ohne Mörtel und Stützen?
Manchmal etwas eremitsch, allein in der Schutzhütte.
Waschtisch im Bergschädenhaus, z.B. Dortmund Lanstrop, unten rechts
Duchamp ganz hoch installiert, ein schöner Hammer.
Von der Hoffnung, dass alles so bleibt, wie es ist. Und der Lust auf
Veränderung. Die Welthölzer bleiben in der Schachtel ?
An die Gebrüder Grimm
Das Paradies. Ein Objekt in der Ausstellung im Palazzo Valentino an der Piazza Venezia in Rom, 1988.
Eine Ausstellung in den Kellergewölben des Palazzo Valentino an der Piazza Venezia in Rom. Mitten in den großen Raum auf das über zweitausendjährige Bodenmosaik stellt Kemper sein Objekt "Das Paradies". Drei Meter hoch ragt ein graziler Fichtenholzstab empor. Oben trägt er eine Glasschale voller Äpfel. Der Künstler ist froh, als das Objekt sicher steht. Ein leichtes Schwanken ist ihm zu eigen. Die knackigen Äpfel sind sorgfältig austariert. Jetzt glänzen sie, unerreichbar in drei Metern Höhe. Ein magischer Blickfang.
Zur Eröffnung kommt die römische Gesellschaft, der Bürgermeister von Rom begrüßt die Gäste. Und mitten in der Rede streift eine feine Dame, ein Sektglas in der Hand, mit ihrem sehr weiten Reifrock den Fuß des Objekts. Es fällt um. Die Glasschale zerbirst in tausend kleine Stücke und die Äpfel zerplatzen und rollen weit über das antike Bodenmuster. Ein Klirren, ein Schrei, ein kurzer Schock, ein mehrfaches Echo. Eine Pause im ganzen Geschehen. Das Gestell bleibt ganz, ist aber ohne die Äpfel bedeutungslos. Die Besucher scharen sich um das gestürzte Objekt, die Dame mit dem Reifrock ist untröstlich. Das Ereignis erinnert an eine Inszenierung, ist aber keine.
Es gibt noch eine Glasschale als Ersatz, nur die Äpfel fehlen. Kemper will das Objekt wieder aufrichten, mitten im Eröffnungsgeschehen. Er läuft hinaus, will schöne Äpfel kaufen. Das ist nicht leicht, hier mitten in Rom. Passanten weisen ihn in die Via del Corso. Er rennt und findet weit am Ende einen kleinen Kellerladen mit Äpfeln. Erst nach 30 Minuten kommt er zurück, atmet schwer, ist ganz erschöpft. Wieder hat sein Objekt die ganze Aufmerksamkeit. Er verteilt die Äpfel in der Schale, legt die Schale vorsichtig in die gespreizten Holzarme des Objekts und richtet es auf. Es gelingt. Ohne Leiter, fast ein Wunder. Offener Applaus. Das Objekt steht von jetzt an vier Wochen stabil in der Ausstellung. Der Wärter schenkt ihm seine ganze Aufmerksamkeit. Die Äpfel sind am Ende der Ausstellung so frisch und knackig wie am Eröffnungstag. Mele romani, Römische Äpfel.
Themen für Arbeitsfelder, Objekte und Installationen.
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Der Triumpf der Wiederholung oder der stabilen Kontinuität.
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Die Sehnsucht nach allem, was längst an uns vorbeigezogen ist.
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Die Konsequenz der ununterbrochenen Betrachtung einer alltäglichen Situation.
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Das Anhalten der Zeit.
Ein leider nicht mehr zu realisierender Plan Kempers, ein Lebenslauf.
Alle seine Schuhe, Paar für Paar, alle, die er vom Beginn seines Lebens bis heute getragen und zer- schlissen hat, möchte Willi Kemper noch einmal besitzen und in eine Reihe stellen. Und dann barfuss an ihnen ganz langsam vorbeigehen. Und dann Zettel schreiben und zu den Schuhen legen: Orte oder Ereingnisse, die er mit den Schuhen gemeinsam erlebte; auch Erinnerungen an Freude und Trauer, Liebe und Verzweiflung, Nüchternheit und Trance, Angst und Mut, Zuversicht und Verzweiflung. Die Schuhe begännen zu sprechen. Ein wunderbarer LEBENSLAUF.